Kurz, unterhaltsam und nahrhaft: Eine neue Theologie des Neuen Testaments

Mit Lukas Bormanns Theologie des Neuen Testaments ist endlich wieder einmal eine theologische Gesamtdeutung in deutscher Sprache erschienen. Und im Vergleich zu den Werken der letzten zwanzig Jahre muss man sich bei Bormann nicht durch 700 – 1400 dicht und kompliziert beschriebene Seiten kämpfen, sondern darf sich auf deren 400 freuen, die lesbar, verständlich und trotzdem ertragreich sind.

 

Lukas Bormann ist Professor für Neues Testament an der Universität Marburg und hat nach fast 40 Jahren intensiver Forschung seine Sicht des Neuen Testaments zusammengetragen. Herausgekommen ist ein Buch, das didaktisch gut aufgemacht ist: Platz für Randnotizen, strukturierende Stichwörter, Kurzzusammenfassungen am Ende eines Kapitels und, wo nötig, ein in die Behandlung der Thematik eingearbeiteter Forschungsabriss. Zudem zitiert Bormann den Bibeltext häufig, so dass sich das mühsame Nachschlagen erübrigt. Und wo immer er sich Zeit nimmt und Raum gibt, einzelne Texte im Detail anzuschauen und auszulegen, profitiert der Leser in methodischer und auch inhaltlicher Hinsicht.

 

Methodisch hat sich Bormann dem narratologischen Ansatz verpflichtet, der die «Meistererzählung» genannte grosse Narrative des Volkes Israel, wie wir sie aus dem Alten Testament kennen, als Grundlage der weiterführenden und weiterinterpretierenden Texte des Neuen Testaments versteht. So ergeben sie viele Verbindungen, und Bormann versteht es gut, Zusammenhänge aufzuzeigen: Etwa zwischen der Verkündigung Jesu des Reiches Gottes und den Psalmen, oder zwischen der Herrlichkeitstheologie des Johannes und der Vorstellung der kabod Gottes bei den Propheten oder zwischen der Endzeitvorstellung des Paulus und den apokalyptischen Texten aus Qumran. Es ist erstaunlich, wie viele Querverbindungen Bormann findet. Liest man sein Buch, könnte man meinen, das Neue Testament sei die nahtlose Fortsetzung des Alten.

 

Und hier liegt auch das Problem des Ansatzes: So sehr es ihm gelungen ist, das eine aus dem anderen abzuleiten und dieses mit jenem zu erklären, so sehr muss man danach fragen, ob dem Neuen Testament damit wirklich Genüge getan ist. Denn es scheint bei Bormann fast so, als hätten sich die Evangelisten und auch Paulus lediglich aus dem grossen Ideenvorrat jüdischer Tradition bedient, ohne dabei über diese Neuzusammensetzung hinweg selbst kreativ gewesen zu sein. Aber ist die Verkündigung Jesu nicht auch inhaltlich anders gestaltet? Ist die paulinische Radikalität der Gnade und der johanneische Mut zur Verherrlichung des Christus wirklich quasi nur ausgeliehen? Hier scheiden sich die Geister.

 

Ansonsten präsentiert Bormann eine ausgewogene Sicht der Dinge, viele seiner Analysen sind durchaus konsensfähig, einiges ist erstaunlich, anderes ist verwirrend, aber das ist in jedem Werk so, das sich einem ganzen Testament widmet. Was Bormann sicher zugutezuhalten ist, ist sein Fokus: Er behandelt längst nicht alles, aber er wählt gut aus. Und gerade das macht seine Theologie interessant und unterhaltsam. Und vielleicht darf es auch einmal gesagt werden: Auch eine Theologie des Neuen Testamentes soll und darf und muss unterhaltsam sein.

 

Lukas Bormann: Theologie des Neuen Testaments

UTB GmbH, 12017, 424 Seiten, ISBN 978-3825248383, SFr. 36.90

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