Verräter wie wir

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Es beginnt mit einer Szene im Bett, Tränen, Enttäuschung, dann in einer Bar. Sie muss weg, geschäftlich, er ist schon wieder enttäuscht, es sollte doch ein romantisches Wochenende in Marakesch werden. Aber sie ist Anwältin und hat Klienten, während ihn seine Poetikstudenten in Ruhe lassen.

 

Als er alleine am Tisch sitzt, kommt der Russe Dima auf ihn zu: gross, fett, lange, strähnige Haare, er wirkt versoffen, auch wenn er sich betont freundschaftlich gibt. Er und seine Gesellen, allesamt finstere Typen, trinken teuren Champagner und scheinen etwas zu feiern. Dima überredet ihn, sich zu ihm zu gesellen und mitzutrinken, schliesslich sei er ja alleine, die Frau gegangen. Ihm ist es peinlich, aber er willigt ein, und dann ziehen sie weiter an eine Party.

 

Allmählich dämmert es Perry, dem Poetikprofessor, mit wem er sich da abgibt: Es ist die russische Mafia. Frauen, Drogen, Dollars, Knarren. Alles ist da. Und als Perry ein Monster von einem Mann gewaltsam von einer Frau trennt, die dieser gerade vergewaltigt, kann ihn nur noch Dima retten, denn er hat sich unwissentlich grade mit einem der kaltblütigeren Gangster angelegt. Und jetzt schuldet er Dima etwas.

 

Gail, seine Frau, weiss von nichts. Aber sie begleitet ihren Mann zum Tennis und zur Cocktailparty am nächsten Tag, wieder bei den Russen. Die ganze Orgie von vorne, sie wird misstrauisch. Zurecht, aber nicht etwa darum, weil ihr Mann fremdgegangen wäre, sondern weil er benutzt wird. Während des obligaten Feuerwerks offenbart Dima Perry, wer er wirklich ist: Der Buchhalter der Russenmafia. Und weil diese vom Vater an den Sohn weitergegeben worden ist, wird reiner Tisch gemacht: Alles für den Sohn, weg mit der alten Garden. Dima fürchtet um sein Leben und vor allem um das seiner Familie. Perry könnte ihm helfen, indem er dem MI5, dem britischen Geheimdienst, einen Datenstick überbringt. Dann wäre seine Familie gerettet. Nicht mehr, nur ein Gefallen, ganz einfach.

 

Und Perry, der Poetikdozent, willigt ein. Die Kinder Dimas sind so nett, und erst die kleinen Zwillinge, deren Vater einst ebenfalls zur Mafia gehörte und jetzt tot ist, ermordet zusammen mit seiner Frau und seiner ältesten Tochter. Drei Gründe mehr, dem sympathischen Russen zu helfen. Und als Gail davon erfährt, ist sie fassungslos: Wie kann man nur so dumm sein. Die Kinder, weisst du…

 

Das ist der Beginn einer Mafiageschichte im 21. Jahrhundert. Keine Messer, keine Spaghetti, keine Borsalinos. Aber noch immer viel Geld, viel Gewalt, böse Menschen, arme Opfer, naive Opfer, dumme Opfer. Die zentrale Frage: Wer ist Täter, wer Opfer? Gehört Dima zu den Guten, nur weil seine Familie bedroht ist? Und wie ist es mit den unzähligen Menschen, die er getötet hat oder hat töten lassen oder zumindest davon wusste? Ist das alles weggewaschen mit einem Datenstick?

 

Weshalb hilft Perry? Ist er ein hoffnungsloser Romantiker, der an das Gute im Menschen glaubt, sogar im Mafioso? Ist er das Opfer seiner Leichtgläubigkeit, das Opfer seines Geltungsdrangs, das Opfer davon, dass er einen langweiligen Job und eine Beziehung in der Krise hat? Oder ist er Täter? Mitgehangen, mitgefangen? Ist er nur Bote, oder wird er am Ende gar zur zentralen Figur?

 

Diese Fragen stellen sich implizit und explizit auf der Irrfahrt durch Europa. Ist mitschuldig am Tod anderer, wer dem Mörder zur Flucht verhilft? Und wie ist es mit der Frau dessen, der zur Flucht verhilft? Oder Frau des Mörders? Was ist Schuld, wie geschähe Sühne, wenn es sie denn gäbe?

 

Der Film ist zu Beginn gemächlich, wird schneller und beginnt sich zu drehen. Man kann ihn schauen als Gangstermovie. Aber die Fragen, die ihm zugrunde liegen, sind tiefer. Hier liegt Grund, weshalb es sich lohnt, ins Kino zu gehen.

 

Verfilmung des Bestsellers von Thriller-Spezialist John le Carré.

Mit Ewan McGregor, Naomie Harris und Stellan Skarsgård

Regie: Susanna White.

Sprache: Edf

108 Min.

Kinostart: 7. Juli 2016

Bildmaterial Copyright © 2016 Paterson-Entertainment AG

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