Beten ohne rasche Gebetserhörungen

Menschen die beten, werden von Gott erhört. Viele Christen meinen heute, dass nur das ziemlich offensichtliche Wunder eine wirkliche Gebetserhörung sein könne. Das wäre zweifellos auch am angenehmsten.

Von einer Gebetserhörung zu sprechen ist zweifellos am einfachsten, wenn Gott offensichtlich das macht, was wir gerade an Aussergewöhnlichem erbeten haben: eine plötzliche, unerklärbare Heilung; eine klare Bekehrung eines Freundes (am besten, wenn ich doch selber auch noch etwas dazu getan habe); das Gelingen einer irgendwie spektakulären Aktion; die Tausendernote, die genau dann im Briefkasten liegt, wenn ich überlege, ob ich mir die Ferien leisten kann; die Prüfung, die ich bestanden habe, obwohl ich wegen meines kranken Kindes davon abgehalten wurde, richtig zu lernen, etc. So suchen wir heute in unseren persönlichen Glaubensleben und in unseren Gemeinden nach Wundern, die zu beeindruckenden Zeugnissen führen.

Der Aids-Pfarrer
Es gibt aber auch Christen, die das anders sehen. Einer von ihnen ist bestimmt der am 28. Januar verstorbene Jan de Haas, der von 1990 bis 2002 auf den Strassen von Lausanne Drogensüchtigen beistand, bevor er als Pfarrer in der reformierten Kirche in Moudon tätig war. De Haas präsidierte zudem während sieben Jahren die „Aktion der Christen für die Abschaffung der Folter“ (ACAT Schweiz). Er hatte 2015 gerade sein Pensionsalter erreicht und wurde nur wenige Monate später von Gott von dieser Welt abberufen.

Aufopfernde Liebe
Jan de Haas hat in den zwölf Jahren, während denen er Aids-Kranke, Süchtige und Obdachlose begleitete, 221 Tote beerdigt. Sie waren durchschnittlich 33 Jahre alt. Auch in der Kirche von Moudon hat er sich weiterhin um Randständige gekümmert und diesen in der „Epicerie du coeur“ gratis Lebensmittel abgegeben.

Beten ohne Garantie
Er habe nie so viel gebetet, wie auf der Strasse, als er auf den Stufen der Eglise St-Laurent in Lausanne gesessen und mit den Menschen in Not das Gespräch gesucht habe. Das sei für ihn eine Lehre der Entschleunigung, der Langsamkeit, gewesen, und ein Beten ohne Garantie. Abends habe er jeweils diese Menschen nochmals vor seinen Augen vorbeiziehen lassen, habe sich an ihre Worte erinnert und für sie gebetet. „Das war ein Schritt des Vertrauens, den ich auf der Strasse gelernt habe“, sagte er in einem Interview mit dem Journalist Gabrielle Desarzens im Jahr 2015. Eines Tages habe ihn nämlich eine Frau in grosser Not gebeten, mit ihr zu beten. „Da ist dieser Ort wie eine Kapelle geworden“.

Viel Zweifel
Von Gott sei er nie enttäuscht worden. Aber zornig gegen ihn schon, als er gesehen habe, wie viele Menschen Aids getötet hat und wie das Schicksal bei einigen brutal zugeschlagen habe. Eigentlich habe er oft gezweifelt. Aber der Zweifel nähre seinen Glauben.
Auch die Organisation „Aktion der Christen für die Abschaffung der Folter“ (ACAT) sieht das Gebet im Zentrum des Handelns. Die Folter ist dennoch bislang in der Welt noch nicht abgeschafft, und wenn inzwischen auch die Mehrzahl der Staaten die Todesstrafe nicht mehr praktiziert, haben im Jahr 2014 noch 22 Länder Menschen hinrichten lassen, unter ihnen namentlich die Supermächte USA und China.

Wo sind die Wunder?
Da kann man sich tatsächlich fragen, wie denn Gott das Gebet beantwortet, wenn er nicht diese Grausamkeiten unverzüglich stoppt? Und wo sind die Wunder, wenn die Völkergemeinschaft (z.B. in der UNO) nur mit viel Streit und Geld wenigstens darauf hoffen kann, in kleinen Schritten (meist vor allem nur auf dem Papier) weiterzukommen?

Dennoch glaube ich – ja ich bin mit allen Zweifeln überzeugt – dass hierin Gottes Wirken liegt. Wenn Menschen wie Jan de Haas auf der Strasse beten (allein oder zusammen mit randständigen Menschen), wenn Engagierte in der ACAT gemeinsam die Hände erheben und betend gegen die Folter kämpfen, dann ist das ein Stück Reden Gottes. Es ist eine geheimnisvolle und herausfordernde, aber vielleicht wichtigere Art von Gebetserhörung, als so manche Heilungswunder, von denen an christlichen Konferenzen und Gemeindeanlässen oft etwas marketinglastig berichtet wird.

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